Aus den Pommernbriefen 1955 

 * Die geheimnisvolle Rede der "Strander" * 

Einsam und weltvergessen lag um die Jahrhundertwende auf der schmalen Nehrung zwischen dem Vietzker See und der Ostsee das Fischerdorf Vietzkerstrand. Hohe weiße Wanderdünen türmten sich im Osten auf und eine scheinbar endlose, von mageren Dünengräsern, Kräutern und Kriechweiden bestandene Ebene umgab das Dörflein. Kaum ein Hase wurde dort satt und an Kühe oder gar Pferde war überhaupt nicht zu denken. Ein Weg nur führte durch Dünensand und Heideblüten zur Chaussee von Jershöft nach Schlawe. 
Kein Wunder, daß die Menschen sich ihrer schweigenden Umgehung angepasst hatten und so war ihre Einsilbigkeit geradezu sprichwörtlich geworden. Zwar brachten die Frauen in sogenannten Lischen ihre berühmten Räucherflundern und -Aale zur Stadt und traten den weiten Weg schon vor Tau und Tag an, um rechtzeitig auf dem Markt zu sein. Den Männern aber ließ ihr Fischerhandwerk keine Zeit, die annähernd 30 km zu Fuß zu laufen. Da nun aber außer den "Fischhändlern" die wenigsten im glücklichen Besitz von Pferd und Wagen waren, so nahm so ein Fuhrwerksbesitzer seinen Nachbarn mit, wenn dieser einmal in der Stadt etwas zu besorgen hatte. 
Einst fuhr also-, sagen wir, der „olle Riehn“ zur Stadt und nahm „Fischer Pagel“ mit. In mühsamer Qual schlich sich das Gefährt durch den mahlenden Dünensand, aber außer einem Hüh und Hott sprach keiner ein Wort. Endlich erreichten sie hinter Aalkaten die Chaussee, und das Pferdchen hatte es nun leichter. Bei der Domäne Neuenhagen kamen sie an üppigen Getreidefeldern vorbei, immerhin für die „Strander“ ein ungewohnter Anblick. Da deutete Pagel mit seines zerkauten Stummelpfeife auf einen Schlag Wintergerste und sagte: „Steiht äwer gaut!“ Der olle Riehn aber spuckte ob solcher Geschwätzigkeit verächtlich halb über die Schulter und lenkte weiter schweigend sein Rößlein. 
In der Stadt angekommen, erledigte jeder seine Besorgungen, und pünktlich zur festgesetzten Zeit fanden sie sich beim Fuhrwerk wieder ein und fuhren nach Hause. Wieder schwiegen beide ausgiebig. Doch als sie nach langer Fahrt vor Neuenhagen wieder an einem gutstehenden Wintergerstenschlag vorbeikamen, fand der alte Riehn seine Sprache wieder. Er deutete mit der Peitsche zur Gerste und sagte: ,,Dei äwer ook"


  K.Fr. Marquardt 

 

 

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erstellt von Margret Ott Letzte Aktualisierung Freitag, 25. April 2003